Wie unser Gehirn funktioniert

Der Marshmallow-Test

In den sechziger Jahren wurde erstmals ein psychologisches Experiment unternommen, das als „Belohnungsaufschub-Test“ oder „Marshmellow-Test“ (siehe Abbildung 1) bekannt geworden ist und seitdem oft wiederholt wurde: Etwa vierjährige Kinder werden in einem Versuchsraum vor einen Teller mit einem Marshmellow gesetzt. Von einer Versuchsleiterin wird den Kindern gesagt, dass sie die Süßigkeit sofort aufessen könnten. Wenn sie aber warteten, bis die Versuchsleiterin in 10 bis 15 Minuten wieder käme, würden sie zur Belohnung einen zweiten Marshmellow dazu bekommen. Die Frage ist also, ob ein Kind seinem aktuellen Handlungsimpuls, die Süßigkeit sofort aufzuessen, in Erwartung einer zukünftigen Belohnung widerstehen kann oder nicht. Die entsprechende Fähigkeit nennt man in der Psychologie Impulskontrolle (auch Selbstkontrolle oder Selbstdisziplin). Sie ist ein grundlegendes Persönlichkeitsmerkmal. Nachuntersuchungen haben ergeben, dass die Impulskontrolle mit dem ideellen, materiellen und sozialen Lebenserfolg eines Menschen zusammenhängt. Zum Beispiel haben Menschen, die schon als Kind Impulskontrolle besitzen, einen höheren Schulabschluss, ein höheres Einkommen und eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich scheiden zu lassen.

Im Folgenden nutzen wir dieses Experiment, um zu erklären, wie unser Gehirn funktioniert. Genauer gesagt: Wir beschreiben lediglich ein Modell unseres Gehirns. Die tatsächliche Funktionsweise eines Gehirns ist zu kompliziert, als dass wir sie vollständig verstehen könnten. Selbst die moderne Hirnforschung kann erst einen Bruchteil davon erklären. Unser Modell ist aber bei aller Unzulänglichkeit sehr nützlich und praktikabel. Es hilft uns, viele Phänomene im alltäglichen Umgang mit uns selbst und mit anderen Menschen zu bewerten und zu verstehen.

Was also geht im Gehirn des Kindes vor sich, wenn es vor dem Teller mit der Süßigkeit sitzt?

Zum einen passiert Folgendes: Weil es schon früher Marshmellows gegessen hat, weiß das Kind aus Erfahrung, dass der Marshmellow süß ist und gut schmeckt. Diese Erfahrung lässt in seinem Gehirn automatisch einen gewohnheitsmäßigen und unterbewussten Handlungsimpuls entstehen: Zugreifen und essen. Diese Handlung würde unmittelbar zur Aktivierung des so genannten Belohnungssystems im Gehirn des Kindes (unter anderem Ausschüttung des „Lusthormons“ Dopamin) und damit zu einem wohligen und angenehmen Lustgefühl führen.

Zum zweiten wird dieser gewohnheitsmäßige, erlernte und unterbewusste Handlungsimpuls durch einen unbewussten, angeborenen Handlungsimpuls verstärkt: Uns Menschen ist als Nahrungstrieb das Verlangen bzw. Grundbedürfnis nach Süßem, Fettem und Salzigem angeboren. „Salziges“, weil wir Natrium, Kalium und andere Mineralstoffe zur Funktion unserer Muskeln und Nerven unbedingt brauchen. „Fettes“, weil Fett der wichtigste Energieträger ist. Fett besitzt fast dreimal so viel Energie (Kalorien) wie Kohlenhydrate und Proteine (Eiweiße). Und „Süßes“, weil die meisten Kohlenhydrate süß schmecken und ebenfalls wichtige Energieträger sind, vor allem für den Energiebedarf des Gehirns selbst. Auch die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses nach Süßem würde beim Essen des Marshmellows unmittelbar zu einem Lustgefühl führen.

Zum dritten steht diesen beiden Handlungsimpulsen die bewusste und aktuelle Information der Versuchsleiterin entgegen. Das Kind (eigentlich das Gehirn des Kindes) weiß nun auf der Ebene seines Bewusstseins, dass es mit einem zweiten Marshmellow  belohnt werden wird, wenn es den unterbewussten (gewohnheitsmäßigen, erlernten) und unbewussten (angeborenen, triebgesteuerten) Handlungsimpulsen widerstehen kann und seine Belohnung, das angenehme Lustgefühl, aufschiebt und dadurch verdoppelt.

Die Pilot-Autopilot-Metapher

Wie wird das Kind handeln? Nun, das hängt davon ab, welche Handlungsimpulse überwiegen: Die unbewussten und unterbewussten Handlungsimpulse oder der bewusste Impuls des Belohnungsaufschubs. Egal: Wir wollen ja aus diesem Experiment ein Modell ableiten, wie das Gehirn von Menschen allgemein funktioniert. Wir nutzen dazu eine Metapher: Sie wissen, dass ein Flugzeug einen Piloten hat und eine technische Einrichtung, die Autopilot genannt wird. Der Pilot startet das Flugzeug. Wenn die Reiseflughöhe erreicht ist, schaltet der Pilot auf Autopilot und das Flugzeug fliegt quasi automatisch. Die Aufgabe des Piloten besteht nun nur noch darin, den Autopiloten zu überwachen und falls notwendig zu korrigieren. Schließlich wird er den Autopiloten wieder ausschalten und eigenständig landen.

Unser Gehirn hat ebenfalls einen „Piloten“ und einen „Autopiloten“ (siehe Abbildung 2 und 3):

Der Begriff „Autopilot“ steht bezüglich unseres Gehirns für unsere angeborenen Verhaltensweisen und für unsere erlernten und gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen. Angeboren sind uns zum einen komplexe Verhaltensmuster, um bedrohliche Lebensbedingungen zu überstehen. Dies sind die Stressreaktionen „Kämpfen“, „Fliehen“ und „Totstellen“. Und zum anderen die Triebreaktionen , die uns dazu „treiben“, förderliche Lebensbedingungen aufzusuchen oder uns zu schaffen. Die Stress- und Triebreaktionen fassen wir mit den nahezu unzähligen anderen unbewusst ablaufenden Körperfunktionen unter dem Begriff „Unbewusstsein“ zusammen. Erlernt sind alle Verhaltensmuster, die wir uns durch das Nachmachen des Beispiels anderer Menschen (vor allem in jungen Jahren das Beispiel unserer Bezugspersonen) oder durch eigene Erfahrungen angewöhnt haben. Diese gewohnheitsmäßigen und erlernten Verhaltensweisen fassen wir unter dem Begriff „Unterbewusstsein“ zusammen.

Der „Pilot“ sind wir selbst: Ein menschliches Gehirn kann eigenverantwortlich, absichtsvoll planend und willentlich handeln. Als einziges Lebewesen kann der Mensch kraft seines Gehirns seine Lebensbedingungen bewusst und proaktiv förderlich gestalten, durch vernünftige Überlegungen Anforderungen angemessen begegnen und Bedrohungen abwenden. Die Gehirne anderer Lebewesen dagegen können nur auf ihre Lebensbedingungen re-agieren.

Zweierlei unterscheidet allerdings unser Gehirn vom Piloten und Autopiloten eines Flugzeugs.

Zum einen: Unser Unbewusstsein und Unterbewusstsein können sich selbst „einschalten“ und aktivieren. Sie können unabhängig von unserem Bewusstsein funktionieren. Dies tun sie in der Regel auch. Sie bestimmen unser alltägliches Verhalten. Und das ist auch gut so. Wir würden verrückt werden, wenn wir uns nicht auf unsere Gewohnheiten verlassen könnten und jede einzelne unserer Handlungen bewusst planen und durchführen müssten.

Zum anderen: Während der Pilot eines Flugzeugs den Autopiloten des Flugzeugs nur im Rahmen von programmierten Voreinstellungen nutzen kann, sind wir in der Lage, einen Teil unseres Autopiloten, nämlich unsere unterbewussten Gewohnheiten zu  programmieren, wenn wir das wollen. Wir können unserem Unterbewusstsein eigenverantwortlich, absichtsvoll planend und willentlich beliebige Gewohnheiten antrainieren.

Und genau diese Fähigkeit Ihres Gehirns nutzen Sie in Ihrem Gesundheitstraining: Sie erforschen mit Hilfe des Gesundheitsportals durch Selbstbeobachtung Ihre Ausgangslage und trainieren dann eine werteorientierte Lebensweise, eine gesunde Ernährungsweise, eine gesunde Bewegungsweise und den angemessenen Umgang mit Stress so lange, bis Ihnen dieses gesundheitsfördernde und krankheitsvermeidende Verhalten zur Gewohnheit geworden ist. Belohnt werden Sie durch eine stetige und nachhaltige Verbesserung Ihrer Gesundheit und Ihrer Lebensqualität.

Werden Sie zum Manager Ihrer Gesundheit! Sie müssen es nur tun.